Der Zerfall des Feudalsystems Politische Veränderungen Zu Beginn des Spätmittelalters war Westeuropa in Lehnsgüter unterschiedlichster Größen zersplittert. Die an der Spitze der Lehnshierarchie stehenden Könige übten keine starke Zentralgewalt aus, und die einzelnen Nationen waren eher kulturelle als politische Einheiten. Gegen Ende des Spätmittelalters waren England, Spanien, Portugal und Frankreich unter der Kontrolle starker Zentralgewalten. In diesen Regionen war den Lehnsherren die politische Macht entzogen worden. Nach seiner Eroberung des englischen Throns im Jahre 1067 schuf Wilhelm der Eroberer die erste starke europäische Monarchie. Nach seinem Sieg in Hastings und fünf weiteren Jahren des Kampfes zur Niederschlagung des verbleibenden Widerstandes, unternahm er Schritte zur Konsolidierung seiner Macht. Er behielt ein Sechstel Englands als Eigentum der Monarchie. Die Hälfte des verbleibenden Landes wurde normannischen Herzögen als seinen direkt untergebenen Vasallen als Lehen verliehen. Ein Viertel des Landes erhielt die Kirche, und der Rest wurde unter den Angelsachsen aufgeteilt. Die gesamte Feudalgesellschaft musste ihm als Lehnsherrn die Treue schwören. Er beanspruchte den Besitz sämtlicher Burgen, verhinderte Kriege zwischen den Lehnsherren und verfügte, dass einzig und allein die königliche Währung erlaubt war. Dies waren erste wichtige Maßnahmen, die zum Niedergang des Feudalismus führten, auch wenn sie nicht immer durchgesetzt werden konnten, besonders unter nachfolgenden, weniger starken Königen als Wilhelm. Im 12. Jahrhundert richtete König Heinrich II. von England einen Gerichtshof und die Rechenkammer ein und begründete damit die Anfänge eines Staatsdienstes. Der Gerichtshof führte Buch über Gesetze und königliche Transaktionen, die Rechenkammer war für die Finanzen zuständig. Beide Ämter waren nicht vererbbar, so dass unbeliebte Beamte einfach abgesetzt werden konnten. Die Beamten dieses neuen Staatsdienstes erhielten an Stelle eines Lehens ein Gehalt und standen somit nur in Abhängigkeit zum König. 1215 wurde der ungeliebte König Johann I. von England gezwungen, die Magna Charta zu unterzeichnen. Dieses Dokument unterwarf den König dem Gesetz des Landes und räumte den Herzögen mittels eines Großen Rates ein Mitspracherecht bei Entscheidungen des Königs ein. Der Wortlaut der Magna Charta führte zu wichtigen Auslegungen in späteren Jahrhunderten, einschließlich des Grundgedankens von "no taxation without representation", d. h. dass eine Besteuerung ohne Vertretung im Parlament nicht gestattet sein solle. Als ein späterer englischer König die Magna Charta missachtete, rissen 1264 die Herzöge die Macht an sich und regierten vorübergehend mit Hilfe eines erweiterten Großen Rates, der Parlament genannt wurde. Dem neuen Parlament gehörten nicht nur Herzöge und hochrangige Kirchenmänner, sondern auch Vertreter der großen Städte an. Auch wenn diese parlamentarische Regierung nur von kurzer Dauer war (15 Monate), konnte das Parlament selbst nicht mehr unterdrückt oder übergangen werden. Von dieser Zeit an war allein das Parlament berechtigt, von ihm beschlossene Gesetze wieder aufzuheben. Steuern konnten nur mit seiner Genehmigung auferlegt werden. Benötigten die Könige kurzfristig Geld (wie etwa während des Hundertjährigen Krieges), so mussten sie als Gegenleistung häufig Teile ihrer Macht abtreten. Parlament und Staatsdienst gewannen an Bedeutung und bewiesen, dass sie, unabhängig von den Fähigkeiten des jeweils amtierenden Königs oder von vorübergehenden Aufständen des Adels, das Land regieren konnten. Während König, Staatsdienst und Parlament die Macht der Herzöge von oben beschnitten, wurde gleichzeitig von der Basis der feudalen Hierarchie Druck nach oben ausgeübt. Mehrere Faktoren wirkten auf die Aufhebung der Leibeigenschaft hin, darunter die wachsenden Bevölkerungszahlen in den Städten, das Ende barbarischer Überfälle und eine gefährliche Seuche, die Europa im 14. Jahrhundert heimsuchte. Der Schwarze Tod Die Pest, die als Schwarzer Tod in die Geschichte einging, traf Europa ganz plötzlich und hatte verheerende Auswirkungen in der Mitte des 14. Jahrhunderts. Sie verbreitete sich von Zentralasien aus Richtung Westen und trat 1346 am Schwarzen Meer auf. Von dort drang sie in südwestlicher Richtung bis zum Mittelmeer vor und dann weiter zur und um die Nordatlantikküste herum bis zur Ostsee. 1348 wurden Spanien und Portugal von der Pest heimgesucht, 1349 England und Irland, 1351 Schweden, 1353 das Baltikum und Russland. Nur entfernte und dünn besiedelte Regionen blieben von ihr verschont. Modernen Schätzungen zufolge starb etwa ein Drittel bis die Hälfte der Bevölkerung Europas, des Nahen Ostens, Nordafrikas und Indiens an der Pest. Die Pest war wahrscheinlich eine Erscheinungsform der Bubonenpest, einer bakteriellen Infektionskrankheit, die auch heute noch vorkommt und nach wie vor gefährlich ist. Die Bakterien wurden über den Speichel von Flöhen, die das Blut infizierter Ratten gesaugt hatten, übertragen. Wenn die Ratten starben, sprangen die Flöhe auf menschliche Wirte über. Dadurch konnten sich die Bakterien rasch in der Blutbahn des menschlichen Organismus ausbreiten. Die Seuche erhielt ihren Namen aufgrund ihres ausgeprägtesten und grausamsten Symptoms: große schwarze und schmerzhafte Beulen, die Blut und Eiter absonderten. Weitere Krankheitserscheinungen waren hohes Fieber und Benommenheit. Die meisten Menschen, die von der Pest befallen wurden, starben innerhalb von 48 Stunden. Nur eine kleine Minderheit konnte die Krankheit besiegen und überlebte. Ganze Landkreise wurden durch die Epidemie entvölkert, und das soziale Gefüge zwischen Leibeigenen und ihren Herren brach entzwei. Alle Menschen, die Land bebauen oder andere Arbeiten verrichten konnten, waren wertvoll. Die Besiedlung der Städte beschleunigte sich, als die Seuche vorüber war.